Notizen am Rande des Vorsingens 2015 (Teil 2) Samstag, Feb 21 2015 

Die Partie der Adina

Die Partie der Adina scheint – insbesondere in Bezug auf ihre Rezeptionsgeschichte und Aufführungspraxis – zweifelsohne eine gewisse Sonderstellung zu genießen. Eine Partie, die 4 durch ihre Komposition durchaus als eine hybride Partie anzusehen ist. Sie lässt sich in keinerlei Schubladen stecken, denn sie gilt – bedauerlicherweise – etwa für Bravourkoloratursoprane oftmals als »zu wenig bravourös und brillant, somit wenig attraktiv«… Primär lyrische Soprane scheinen oft jedoch mit den kurzen, dennoch schwierigen Koloraturpassagen und der gesamten Tessitura dieser Partie ein gewisses Problem zu haben. Während helle, zarte und bewegliche Soubretten-Stimmen in puncto Volumen lediglich über eine mangelnde Rollenauthentizität, begrenzte vokale Ausdrucksmöglichkeiten und Farben verfügen können…

Warum hat ausgerechnet diese Partie durch die vergangenen Jahrhunderte musikalisch so gut wie keinerlei Aufwertungen, Veränderungen und gravierende bzw. virtuose Ergänzungen wie beispielsweise die exemplarische Titelpartie der »Lucia di Lammermoor« erfahren? Dass beinahe sämtliche Adina-Interpretinnen auch heute noch – entgegen der gängigen Aufführungspraxis der Belcantoopern – lediglich das zu singen pflegen, was die Partitur Donizettis enthält, bleibt wohl Adinas Geheimnis…[?]

Einzig die offizielle Diskografie des Werks weist zwei bedeutende und seltene Ausnahmen auf, die man in Bezug auf diese Partie musikalischer Natur feststellen kann: Die australische Sopranistin Dame Joan Sutherland sang unter der Leitung ihres Gatten Richard Bonynge, in der Gesamtaufnahme von »L’elisir d’amore« [Anm.: Plattenlabel: DECCA] jenen Koloraturwalzer, welcher vermutlich von Donizetti für die große Belcantosängerin Maria Malibran nachträglich als Einlagearie der Adina komponiert worden war. Einen zweiten und späteren Versuch startete auch die italienische Koloraturmezzosopranistin Cecilia Bartoli, diese Arie auf ihrem Album »Hommage à Maria Malibran« [Anm.: Plattenlabel: DECCA] wieder ins Repertoire zurückzubringen bzw. wiederzubeleben… Beide Interpretationen zählen zwar zweifelsohne zu den interessanten Höhepunkten der Donizetti-Diskografie, aber die besagte Einlagearie hat es bislang – auch mangelns an entsprechendem Notenmaterial – dennoch nicht geschafft, in die Rezeptionsgeschichte und reguläre Aufführungspraxis des Werks nachhaltig Einzug zu halten…

Ist also Adina sowohl in musikalischer, als auch in darstellerischer Hinsicht als eine Art Stiefkind des großen Komponisten anzusehen? Ja, sie ist es, denn es ist nicht leicht, den primär komplexen Donizetti’schen Anforderungen ohne ein spektakuläres und sonst obligatorisches Koloraturfeuerwerk zu entsprechen und zugleich auch eine Sängerin zu finden, die in der Lage ist, den heterogenen Ansprüchen dieser Partie in vollen Zügen gerecht zu werden. Es mag zwar Adina ein Stiefkind, eine schwierige Tochter Donizettis sein, aber wir freuen uns sehr, nun eine Sängerin für die Partie engagiert zu haben, die diesen Ansprüchen in ihrer Gesamtheit in höchstem Maß entsprechen kann.

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In diesem Sinne freut es uns aber sehr, Ihnen sehr verehrtes Opernpublikum des KlassikFestivals Schloss Kirchstetten, bald eine tolle, junge und internationale gesamte Besetzung offiziell präsentieren zu können, die u.a. nicht nur über einen hervorragenden und stilsicheren Nemorino, einen herben, spielfreudigen Dulcamara in bester Buffomanier und einen charismatischen Belcore, sondern auch über eine erstklassige, charmante Adina und eine quicklebendige, freche Giannetta verfügen wird!

(CSN)

 Den ersten Teil des Beitrags finden Sie HIER.

Notizen am Rande des Vorsingens 2015 (Teil 1) Donnerstag, Feb 19 2015 

… und ein Plädoyer für Adina!

liebestrank

Alle Jahre wieder: Diesem Motto zufolge haben Maestro Khalatbari und ich nun Ende Jänner und Anfang Feber im Rahmen der diesjährigen Vorsingtermine erneut die Möglichkeit gehabt, zahlreichen jungen und talentierten SängerInnen aus vielen verschiedenen Ländern zu begegnen, welche sich um die diversen Solopartien der Donizetti’schen Opera buffa »L’elisir d’amore« beworben hatten. Dank der umsichtigen Koordination durch unsere Produktionsleitung Mag. Eva Drnek gelang es uns, die BewerberInnen in einer angenehmen und entspannten Atmosphäre empfangen zu können, wodurch auch die jungen KünstlerInnen unter optimalen Bedingungen ihr Können präsentierten bzw. zu unserer Freude unter Beweis stellen konnten.

Die große Schar an Adinas (!!!), Nemorinos, Belcores und Dulcamaras wurde auch dieses Jahr von der italienischen Pianistin Eliana Morretti sensibel, kollegial und sehr hilfsbereit am Flügel begleitet.

Das Vorsingen ist nicht nur eine Art obligatorische Bewährungsprobe und regelmäßige »Prüfungssituation« für die BühnenkünstlerInnen, sondern man erlebt auch als Regisseur oft die Situation, dass man am liebsten doch viel mehr SängerInnen nehmen würde, als es Rollen zu besetzen gibt… Also, die Qual der Wahl! J

Ähnlich wie im Verlauf früherer Vorsingen der letzten Jahre für die jeweilige Opernproduktion des KlassikFestivals Schloss Kirchstetten, konnte man auch dieses Jahr folgende erfreulichen Tendenzen beobachten: Unsere BewerberInnen kamen nicht nur aus dem gesamten europäischen Raum, sondern sogar auch von Übersee und dem Fernen Osten. Zahlreiche junge SängerInnen brachten nebst hervorragenden vokalen und musikalischen Fähigkeiten auch viel schauspielerisches bzw. darstellerisches Talent inkl. Spielfreude und Offenheit mit – also ein willkommenes Fressen für einen jeden Opernregisseur…

In puncto Theater- und Bühnenerfahrung hatten wir auch diesmal BewerberInnen nicht nur aus der bunten und interessanten internationalen freiberuflichen Musiktheaterszene, sondern auch von zahlreichen etablierten und namhaften Opernhäusern und Mehrspartenhäusern Europas wie beispielsweise der Deutschen Oper Berlin, Tschechische Nationaloper Prag, Erkel Theater der Ungarischen Staatsoper Budapest, Gärtnerplatztheater München, Opernhaus Graz, Landestheater Linz, Landestheater Salzburg usw. Eine Tatsache, die es einmal mehr unterstreicht, dass das KlassikFestival und dessen szenische Opernproduktionen und Veranstaltungen bereits im europäischen Kreislauf der Opern- und Festivalszene nicht nur erfolgreich angekommen, sondern mittlerweile darin fest verankert sind. Auch die Zahlen der eingelangten Anmeldungen sprachen eine klare Sprache, die das rege Interesse an unserem Festival ebenfalls bestätigten, denn wir erhielten dieses Jahr insgesamt mehr als 200 Bewerbungen und es wurden dann – nach einer ersten gezielten Vorauswahl seitens des künstlerischen Leitungsteams – knapp 90 SängerInnen zum Vorsingen nach Wien eingeladen. Es zählt auch zu den Kirchstettner Besonderheiten, dass wir ohnehin sehr gerne auch interessante Talente OHNE die Unterstützung oder Vetretung durch eine Künstler- bzw. Opernagentur zum Vorsingen einzuladen pflegen, was innerhalb der Opernszene des deutschen Sprachraums mittlerweile eine ziemliche Rarität darstellt. Somit erhalten zahlreiche talentierte OpernsängerInnen Jahr für Jahr die Möglichkeit, auch ohne Förderung einer einflußreichen Agentur an ein Vorsingen zu kommen und sich ggf. anschliessend in einer musikalisch und szenisch komplett erarbeiteten Rolle dem Publikum präsentieren zu können.

In Bezug auf die Statistik lässt sich desweiteren festhalten, dass die meisten Bewerbungen und Anmeldungen naturgemäß für die Partie der Adina eingelangt sind… Sehr viele junge und talentierte Sängerinnen wollten uns für diese Partie vorsingen: Eine hybride Partie, die keineswegs dem Fach der Donizetti’schen Bravourkoloratur à la Lucia oder dem neckischen und primär süßen oder sogar auch frechen Rollenfach einer Koloratursoubrette wie beispielsweise Norina zuzuordnen ist. Eine Partie – die meiner Meinung nach – viel zu unrecht im Schatten der allseits beliebten Tenorpartie des Nemorino zu stehen scheint. Woran liegt es wohl? Dass Donizetti wie auch seine berühmten Vorgänger oder Komponisten-Kollegen (Bsp. Mayr, Rossini, Bellini etc.) aus der Ära des italienischen Belcanto beim Komponieren stets die vokalen Fähigkeiten und den Klang bestimmter und von ihnen persönlich präferierten SängerInnen im Ohr hatten, so dass sie ihre Kompostionen jeweils für diese »maßgeschneidert haben« gilt als musiktheaterwissenschaftliches Allgemeingut. Fakt ist aber, dass die meisten Gesangspartien aus den Epochen des italienischen Belcanto und der französischen Grand opéra [Anm. Beide Stilepochen galten als besondere Blütezeit des primären Ziergesangs und der nicht immer und auschließlich dem Ausdruck dienenden puren Kehlkopfakrobatik…] im Verlauf der Zeit und gemäß der Stilistik und Tradition durch ihre InterpretInnen und deren Virtuosität nicht nur teilweise bis zur Unkenntlichkeit verändert, sondern oftmals sogar aufgewertet worden sind: Es genügt lediglich ein kurzer Blick in die Klavierauszüge dieser Werke und der Besuch einer aktuellen Aufführungsfassung aus diesem Repertoire, um zu erkennen, dass die vom Komponisten in der Partitur (=Klavierauszug) festgelegten »nackten« Gesangspartien sich stark davon unterscheiden, was das Publikum letztendlich auch in einer gegenwärtigen Aufführung oder auch auf einem Tonträger zu hören bekommt. Woran liegt es? Die bereits erwähnten Gesangsvirtuosen der damaligen Zeit waren geradezu aufgefordert bzw. sogar auch herausgefordert, diese Gesangspartien mit ihren eigenen hochvirtuosen und teilweise auch extrem ausgedehnten Koloraturkaskaden (=Kadenzen) zu ergänzen. Es begann also ein bitterer[?] Wettstreit – insbesondere – unter den großen Diven (Bsp: Isabella Colbran, Giuditta Pasta, Maria Malibran, Giulia Grisi, Jenny Lind, Adelina Patti etc.) dieser Zeit, welcher von solchen kräftigen Attributen wie beispielsweise »höher, virtuoser, brillanter, lauter und exzentrischer« geprägt wurde… The Golden Age of Belcanto wurde eingeläutet!

Diese Tendenzen wurden zwar auch oftmals im 20. Jahrhundert von namhaften Belcanto-Pionierinnen und Spezialistinnen wie beispielsweise Lily Pons, Maria Callas, Joan Sutherland, Karola Ágai, Beverly Sills, Cristina Deutekom, Anna Moffo, Luciana Serra, Edita Gruberová etc. fortgefüht, wobei der künstlerische Ausdruck und die dramaturgisch begründete bzw. unterstützte Charakterstudie einer jeden Belcantorolle einen neuen, zeitgemäßen und zurecht geforderten Tiefgang und interpretatorischen Schwerpunkt erfuhren. All diese Interpretinnen überzeugten nicht nur durch ihre primär ausserordentlichen vokalen Fähigkeiten, sondern auch durch ihre eigenständige und stets stilsichere Ornamentierungstechnik: Es überrascht also überhaupt nicht, wenn man in der nationalen und internationalen Musiktheaterpraxis auch heute noch u.a. von sog. Lily-Pons-Kadenzen, Sutherland-Triller oder Ágai-Glissando zu sprechen pflegt.

Diese musiktheaterhistorisch begründete Tradition führt im Sinne einer modernen Sängerdarstellerin samt technisch bestens geschulter Stimme u. a. die schweizerische Sopranistin rumänischer Herkunft Elena Moșuc fort, die über einen voluminösen, durchschlagskräftigen, ausgeglichenen und virtuosen Dramatischen Koloratursopran verfügt, somit stellt sie oft zurecht eine erste Wahl für div. Belcantoheldinnen in der Liga der gegenwärtig gefragtesten Belcantospezialistinnen dar.

Nach diesem kurzen Exkurs zu den Themenbereichen: Belcanto, Belcantostilistik, Tradition, Rezeptionsgeschichte und Aufführungspraxis taucht aber die gerechtfertigte Frage auf: »Ja, schön und gut… aber was hat all das mit Adina zu tun…?!«

…DAS erfahren Sie im nächsten Blogbeitrag. 😉

(CSN)