
Portrait Lucia Popp © Opera News
Warum neigen wir Menschen dazu, große und bedeutende Künstlerpersönlichkeiten vergangener Tage immer nur dann gebührend und von medialem Interesse begleitet, zu feiern, wenn sie irgendein rundes Jubiläum begehen – sei es nun ein posthumer Geburtstag oder ein Todestag? Nun liebe Leserinnen und Leser, sie haben es richtig erkannt: Dieser Blogeintrag vom KlassikFestival Schloss Kirchstetten handelt diesmal ausnahmsweise nicht von bestimmten festivalrelevanten Angelegenheiten oder programmatischen Ankündigungen, sondern wir widmen uns dem Andenken einer großartigen Künstlerin und einer der bedeutendsten Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts, der vielzu früh verstorbenen österreichischen und bayerischen Kammersängerin, Lucia Popp, deren Geburtstag (12. November 1939), sowie auch Todestag (16. November 1993) diese Tage wiederkehren…
Von einer blanken Aufzählung div. Lebens- und Lexikaldaten der Sängerin möchte ich Sie sehr gerne verschonen, da es sowieso ein fantastisches, umfangreiches und mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltetes Erinnerungsbuch unter dem Titel Lucia von Dr. Ursula Tamussino [Anm. Barylli Verlag, Wien] gibt, welches nichts an seiner Aktualität, Qualität und seinem Anspruch – trotz der vergangenen Jahre seit seiner Erstveröffentlichung 1999 – eingebüßt hat!

Das einstige Wundertier – so nannte spontan die verblüffte und gleichermaßen faszinierte Ks. Elisabeth Schwarzkopf ihre jüngere Kollegin bei einer ersten Begegnung im Zuge der Aufnahmesitzungen der als mittlerweile legendär geltenden »Die Zauberflöte«-Gesamtaufnahme (EMI / Warner) unter dem Dirigat von Otto Klemperer – galt als stets stilsichere Alleskönnnerin ihrer Generation.

© EMI /Warner Classics
Es gab kaum ein Genre (Epoche), in welchem sich Lucia Popp während ihrer Karriere nicht mit Erfolg ausprobiert hätte: sie war nicht nur eine erstklassige Opern– und Operettensängerin, nein, sie war überdies auch eine der gefragtesten Interpretinnen des Fachs Lied– und Oratorium innerhalb ihrer künstlerischen Generation.
(Dass sie vor ihrem Gesangsstudium Schauspiel studierte, kam ihr nicht nur in ihren ersten Filmrollen als Schauspielerin der damaligen Tschechoslowakei zugute, sondern auch später als gefeierte Opern- und Operettendiva, denn sie wirkte auch in zahlreichen Opern- und Operettenverfilmungen mit.)
Worin liegt das Geheimnis Lucia Popps, dass sie nicht nur als vom Publikum heute noch heißgeliebte, verehrte herausragende Opern- und Konzertsängerin des 20. Jahrhunderts in Erinnerung geblieben ist, sondern sogar auch als hochgeschätztes Vorbild neuerer bzw. gegenwärtiger Sopran-Generationen gilt? (Wie oft hört man etwa in Vorsingen oder persönlichen Gesprächen mit jungen Sängerinnen, dass Lucia Popp nach wie vor zu ihren größten und wichtigsten Vorbildern gehöre, obwohl Popp selbst nie einen übertriebenen Starkult und den damit verbundenen und unerträglichen Hype bzw. PR-Hysterie mancher gegenwärtigen Stars und Sternchens benötigte, um zu den Besten ihrer Generation zu gehören: der Name Lucia Popp galt schon immer als Garant und Markenzeichen für einzigartige und künstlerisch herausragende Interpretationen.)
Sind es neben ihrer angeborenen Stimmschönheit, ihren technisch perfekten vokalen Fähigkeiten, ihrem Charme bzw. Esprit, sowie ihrem schauspielerischen Talent auch jene Attribute wie beispielsweise ihre Natürlichkeit, Wärme und ihr Ausdruck – fernab von jeglichen antiquierten, klebrig-süßen zuckerwatte-rosaroten Manirismen und Unehrlichkeiten (!) div. zahlreicher Fachkolleginnen, die Lucia Popps Interpretationen auch heute noch so dermaßen glaubwürdig, frisch, zeitgemäß und ergreifend erscheinen lassen?
Lucia Popps Stimme verfügte aber neben den o.a. Attributen auch über ein sehr persönliches (silbriges) Timbre voller Wiederkennungseffekt. Eine Gabe, eine Fähigkeit, die man nicht erwerben oder erlernen kann. Wie ihre Biografin Dr. Ursula Tamussino dies stets zu betonen weiß:
»Man braucht nur das Radio aufzudrehen und wenn man es im Vorfeld nicht wußte, wer da gerade singen würde, erkennt man Lucias jubelnde und strahlende Stimme trotzdem gleich nach dem ersten Ton!«
Dass Lucia Popp während ihrer Karriere mindestens zweimal das Fach komplett und erfolgreich gewechselt hat, gilt ja in Opernkreisen als Allgemeingut: die frühen 60er bis 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts standen im Zeichen ihrer Interpretationen aus dem Fach eines Lyrischen- bzw. Bravourkoloratursoprans. In dieser Zeit hat sie auch einige wichtige Fachpartien einer Koloratursoubrette und eines Spielsoprans erfolgreich verkörpert. Ab den frühen 80ern widmete sie sich immer mehr den großen Fachpartien eines Lyrischen Soprans. Zu diesem Repertoire fügte sie dann sukzessive ab Mitte der 80er Jahre auch einige bedeutende Rollen eines Jugendlich-dramatischen Soprans hinzu und galt stets als weltweit gefragte Interpretin insbesondere der großen Mozart und. R. Strauss-Rollen.
Am Anfang dieser beispiellosen Karriere stand ja Mozarts Sternflammende Königin, ein Prüfstein für einen jeden Koloratursopran und am Ende stand – nach den goßen Erfolgen im jugendlich-dramatischen Fach – ebenfalls eine weitere fordernde, dramatisch-virtuose und komplexe Mozart-Partie: Vitellia aus »La clemenza di Tito«…
An dieser Stelle lassen Sie uns mal bei Lucia Popps Schicksalspartie der Königin der Nacht bleiben und die Sängerin selbst dazu zitieren:
»Die Königin der Nacht zu singen, das ist nicht wie ein Gang auf dem Seil, sondern wie ein Tanz auf dem Seil. Ich vermute, darum ist die Opernwelt voll von Sängerinnen, die diese Partie auf der Kostümprobe bringen, aber nicht am Abend der Aufführung selbst. Ich bewundere wirklich jene, die diese Rolle länger als zehn Jahre in ihrem Repertoire halten können.«
[Anm. Helena Matheopoulos, DIVA – Leben und Rollen großer Opernsängerinnen, Edition Musik & Theater / M&T Verlag]

Worin unterscheidet sich Lucia Popps Königin der Nacht-Interpretation von ihren großartigen und zeitgleich aktiven Kolleginnen in dieser Rolle? Während man etwa in der Interpretation von Karola Ágai eine dämonisch-majestätische, geheimnisumwobene überirdische Erscheinung samt blitzsauberem Koloraturfeuerwerk erleben konnte, wartete die holländische Sopranistin Cristina Deutekom mit einem metallischeren, volleren Klang und einer keinen Widerspruch duldenden Attitüde auf. Ihre Textbehandlung war ganz ausgezeichnet. Allein wie sie das Wort »Sarastro« in der Rachearie ihrer Pamina entgegenschleudert, klingt wie ein Dolchstoß! Einer wahren und alles verwüstenden Vulkaneruption kam hingegen Edda Mosers Interpretation der Sternflammenden Königin gleich und sie eröffnete dadurch komplett neue Interpretationswege dieser Partie, die sonst leider viel zu oft den leichtstimmigen und substanzarmen Kanarienvögeln namens Koloratursoubretten zum Opfer fiel bzw. auch heute noch oftmals zum Opfer fällt…
Lucia Popp zeigt uns in der bereits erwähnten Gesamtaufnahme unter der Leitung von Otto Klemperer (EMI / Warner) eine jugendlich frische, lebendige Königin der Nacht! Sie ist kein Dämon oder hysterische Furie im klassischen Sinne, sondern eine junge (alleinerziehende?) Mutter, die um jeden Preis und verzweifelt um ihre Ideale zu kämpfen versucht, auch wenn diese falsch sein mögen… Diese nicht nur virtuose und funkelnde, sondern auch ehrliche Rolleninterpretation öffnete Lucia Popp auch die Türen der großen internationalen Opernhäuser. So gab sie 1967 in einer von Marc Chagall ausgestatteten Neuproduktion von »Die Zauberflöte« ihr Hausdebüt an der New Yorker MET.

Lucia Popp als Königin der Nacht (New Yorker MET / Ausstattung: Marc Chagall)
Nach ihrem gelungenen Fachwechsel kehrte sie 1981 erneut an die MET zurück, um in der Derniere der besagten Produktion nun die Partie der Pamina zu verkörpern.
Eine facetten- und erfolgreiche Karriere, viele Gesichter, zahlreiche Bühnencharaktere und eine vielzu früh verstummte Ausnahmestimme! Eine Stimme, die zum Glück zum Höhepunkt der LP und der anschliessend florierenden CD-Ära sehr vielseitig und zahlreich dokumentiert wurde. Viele dieser Aufnahmen sind entweder gegenwärtig noch auf Tonträger erhältlich oder dank dem Internetportal YouTube online einsehbar, um Lucia Popps künstlerisches Vermächtnis auch der Gegenwart näher zu bringen.
Lucia Popp fand ihre letzte Ruhestätte am Friedhof Slávičie údolie (dt. Tal der Nachtigall) in Bratislava.

Am Endes dieses Blogeintrags möchte ich nun erneut Mozart, aus seinem Singspiel »Zaide« zitieren: »Ruhe sanft…«
Ruhe in Frieden, Lucia!
(Cs.N.)
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